Was die erste neue Frau des Vaters ihres Sohnes nicht geschafft hatte, vollendet jetzt die zweite.
Die Tür schlug ins Schloss und es kehrte Stille ein. Eine beunruhigende beängstigende Stille, eine endgültige Stille. Zurück blieb nur die Erinnerung an den Lärm und die Unruhe der vergangenen Jahre.
Damals als Xavier Ella und ihren damals zweieinhalbjährigen gemeinsamen Sohn einfach stehen ließ im Flur ihrer damaligen gemeinsamen Wohnung, brach eine Welt in ihr zusammen. Sie hatte ihm das selbst vorgeschlagen sich zu trennen, hatte es aber nicht so gemeint und gehofft, er würde ihr sagen, dass er sie liebe und mit ihr zusammen sein wolle. Aber er hatte den Vorschlag angenommen und ließ sie einfach stehen. Wie ein Stück Möbel stand sie reglos im Flur mit dem Blick zur Tür, die mit einem letzten Kawumm ins Schloss gefallen war und konnte es noch nicht wirklich begreifen.
Erst Tage später hatte sie verstanden, was eigentlich passiert war. Als er sie anrief, um ihr zu sagen, dass sie ihn mit den Bakterien aus ihrem Labor mit einer Lungenentzündung angesteckt hätte, als er sie einige Tage, bevor er sie einfach dort im Flur stehen gelassen hatte, als er sie verließ, einmal im Labor besuchen gekommen war.
Nicht nur dass er Ella und ihren gemeinsamen Sohn einfach so hatte stehen lassen, er begann ihr zu sagen, sie würde seine Wohnung besetzen und sie solle endlich mal ausziehen mit ihrem gemeinsamen Sohn, obwohl die Wohnung damals auch Ella gehörte.
In Berlin war das nicht so einfach eine Wohnung zu finden, manchmal standen Hunderte von Leuten an, um eine Wohnung zu besichtigen. Mit einem Doktorandengehalt und gerade verlassen worden mit einem zweieinhalbjährigen Kind und ohne Hilfe hatte man nicht die allerbesten Chancen etwas Passendes zu finden.
Drei Monate später hatte Ella dann endlich eine Wohnung gefunden. Überteuert und einsam in Mitte. Weit weg vom Kindergarten und weit weg von der Gegend, in der sie gemeinsam gewohnt hatten. Ella wollte das so. Sie dachte, in Mitte zu wohnen, würde ihr gefallen. Denn immerhin hatte sie in Mitte gewohnt, bevor sie zu Xavier in den Prenzlauer Berg gezogen war. Und sie wollte Xavier einfach hinter sich lassen und dort weiter machen, wo sie vor Xavier angefangen hatte. Leider ist Mitte nicht immer gleich Mitte. Aber das ist jetzt nicht wichtig.
Ein paar Monate nachdem Ella ausgezogen war, rief Xavier sie an, und sagte ihr, dass seine neue Freundin schwanger sei, und Ella solle keine bösen Dinge darüber zu ihrem gemeinsamen Sohn sagen. Plötzlich spürte Ella ihr Bein nicht mehr und sie hatte drei Tage hohes Fieber.
Und dann ging der Terror los. Nicht nur dass sie das kleine rothaarige Mädchen bekamen von der er geträumt hatte, während Ella schwanger war, sie kauften auch noch ein Haus und heirateten und bekamen noch ein Kind.
Ella wurde dann unterstellt, sie sei neidisch, Aber das Haus interessierte sie nicht. Sie hatte einfach nur Angst, sie würden ihr ihren Sohn wegnehmen. Mit ihrem perfekten Familienleben, dem doppelten Einkommen und dem Haus hatten sie ihr soviel voraus. Ella mit ihrem Doktorandengehalt und ihrer winzigen Dachgeschosswohnung, in die sie später nochmals umgezogen war, und ihrer latent immer vorhandenen Depression, ihrem schlechten Gewissen und einem Hang zu Männern, die ihr nicht gut taten, hatte sie da nicht so viel zu bieten. Natürlich hielt sie sich für eine schlechte Mutter.
Also haute sie ab, weit weg, mit ihrem Sohn, ins Ausland. Xavier ließ sie ziehen. Jetzt konnten sie ihr ihren Sohn nicht mehr wegnehmen. Ihr Sohn mochte die Frau seines Vaters nicht, und sie mochte ihren Sohn nicht. Also gab es keine Gefahr mehr, wenn ihr Sohn in den Sommerferien mit ihnen in den Urlaub fuhr.
Vor ein paar Jahren ließ Xavier seine Frau dann im Flur stehen. Er war mit seiner Geliebten abgehauen, die auch ihren Mann verlassen hatte. Seit einem Jahr lebt Ellas Sohn bei ihnen. Und er mag diese neue Freundin seines Vaters.
Sie hat keine eigenen Kinder. Das ist das große Problem. Sie muss sich die Kinder der anderen Frauen krallen und sich zu deren Freundin machen, in dem sie ihnen ihr Ohr leiht, in dem sie ihnen Geschenke macht und in dem sie ihnen ihr Leben organisiert. Ella will nicht, dass sie ihrem Sohn das Leben organisiert. Aber sie ist weit weg, und hat keinerlei Einfluss darauf.
Ja, Ellas Sohn ist jetzt erwachsen und sie wird immer seine Mutter sein. Aber das wäre sie auch damals geblieben, als er klein war und die Gefahr bestand, dass sie ihnen ihren Sohn wegnahmen.
Das Ellas Sohn jetzt erwachsen ist, macht die Angst nicht kleiner. Angst ist irrational. Angst gibt einem das Gefühl hilflos zu sein. Und wieder einmal ist sie in einer Situation, in der sie nur verlieren kann. Wieder einmal wird über Ella gesagt, dass sie neidisch sei. Sogar ihr Sohn fragt sie das.
Und wieder einmal weiß sie nicht, was sie machen soll.
Also fängt sie an für andere zu schreiben.
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