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About Shoes and Men and the imperfect Perfections

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Dienstag, 20. Oktober 2015

Die Angst fährt immer mit

Die Angst fährt immer mit. Jeden Tag im Autobus, auf dem Weg zur Arbeit und zurück. Auch auf der Strasse spüre ich diese Angst, diese unbestimmte Angst, irgendetwas könnte passieren. Irgendjemand würde plötzlich und unvermittelt "Allah Achbar" schreien und was dann? Ich habe drei Kriege in Israel miterlebt, bei einem von den dreien wurde ich nachts vom Raketenalarm geweckt. Das war nichts im Gegensatz zu dem, was wir jetzt gerade erleben.

Seit ungefähr anderthalb Wochen spüre ich diese Angst. Es fing damit an, dass eines Freitag mittags als ich in unserer Gegend in den Bus einsteigen wollte, mein Sohn zu mir sagte: „Ich hoffe, Du fährst nicht nach Hadar. Da haben sie heute zwei Terroristen festgenommen, die einen Anschlag verüben wollten.“ Ich weiß nicht, ob das stimmte, aber es machte mir Angst. Wenn der Terror jetzt nach Haifa gekommen wäre, wäre man nirgends mehr sicher.

Wie der ganze Terror genau anfing, das weiß ich nicht. Ich habe es nicht verfolgt. Er war ja auch weit weg der Terror in Jerusalem. Irgendetwas passiert ja auch immer in Jerusalem, die ganze Zeit. Genauso wie immer wieder mal eine Rakete aus dem Gaza geflogen kommt. Es interessiert nicht mehr so wirklich, man denkt nicht mehr darüber nach, man hat sich daran gewöhnt, es hat keinen Einfluß auf das tägliche Leben. Man kann sich auch nicht andauernd damit beschäftigen. 

Aber jetzt war mit diesem einen Satz der Terror plötzlich nach Haifa gekommen, wenn auch nur im Kopf. An diesem Wochenende gab es dann viele Anschläge, auch außerhalb Jerusalems, in Afula, in Hadera und auf einer Strasse im Norden. Ein junger Mann fuhr in eine Soldatin  die an einer Bushaltestelle wartete, verletzte sie damit schwer, stieg dann aus und stach auf drei andere Wartende ein. Ein 13jähriger!!! arabischer Junge aus Ostjerusalem erstach einen 13jährigen jüdischen Jungen auf einem Fahrrad.

„Einsame Wölfe“ nennt man diese neuen Terroristen, meistens gebildete Jugendliche, nicht älter als Anfang Zwanzig, die keiner Terrororganisation angehören. Und das Neue dabei, es gibt auch „einsame Wölfinnnen“, eine neue Generation von jungen arabischen Frauen, die mehr wollen als nur Kinder kriegen und den Mann beglücken.

Nach diesem Wochenende hatte ich Angst mit dem Bus zu fahren. Erinnere ich mich doch noch an die Bilder von in die Luft geflogenenen Bussen der 2. Intifada im Fernsehen. Hatte ich nicht eigentlich auch gesagt, wenn es eine neue Intifada gäbe, würde ich das Land verlassen. Vor Raketen kann man sich schützen, es gibt einen Alarm und man geht irgendwo hin, wo es sicher ist und wartet ein paar Minuten. Aber jetzt gibt es keinen Schutz, vor einsamen Wölfen und einsamen Wölfinnnen, die ständig und überall losschlagen könnten, gibt es keinen Schutz.

Die ersten Tage hat mich mein Freund zur Arbeit gefahren, so dass ich nur noch einmal am Tag mit dem Bus fahren musste. Aber nach drei Tagen war mir das viel zu früh, ich war ständig müde und war morgens im Stress. Und mir blieb ja auch immer noch die Rückfahrt nach Hause mit dem Bus und irgendwie ist die Angst am Abend größer als am Morgen. Liegt wohl daran, dass ich am Tage die ganzen Nachrichten lese und mir die auf den Nachrichtenseiten gepostete Videos anschaue.

Ich muss jeden Tag mit dem Bus aus dem jüdischen Viertel oben auf dem Berg durch ein arabisches Viertel „Downtown“ unten am Berg fahren, um zur Arbeit zu gelangen. Es führt kein Weg daran vorbei. Ich muss arbeiten, kann nicht auf unbestimmte Zeit zu Hause bleiben. Also muss ich das arabische Viertel irgendwie überwinden. Am ersten Tag auf dem Weg nach Hause bin ich drei mal aus dem Bus ausgesteigen.

Ich hatte im Bus immer meinen Stammplatz. Da ich an der ersten Haltestelle des Busses einsteige, war der auch immer frei, der Platz hinter der Scheibe der hinteren Tür, Dort dachte ich, dass ich irgendwie gegen Selbstmordattentäter, die sich in die Luft sprengen, geschützt sei. Jetzt sitze ich immer vor der Scheibe der hinteren Tür, damit mir keiner von hinten plötzlich ein Messer in den Rücken stechen könnte. Wenn der Platz belegt ist, dann sitze ich ganz hinten obwohl man dort ein bisschen gefangen ist, wenn einer "Allahu Akbar" ruft.

Jeden Tag sage ich mir, dass die meisten Anschläge ja in Jerusalem passieren und dass es hauptsächlich gegen Polizisten, Soldaten und orthodoxe Juden geht, aber es hilft nur ein bisschen, denn manchmal passieren Anschläge auch außerhalb Jerusalems und ganz oft erwischt es auch andere Leute. Wenn wir dem arabischen Viertel näher kommen, kontrolliere ich an jeder Haltestelle, wer einsteigt. Wenn es ältere dicke russische Frauen sind oder orthodoxe Juden dann beruhige ich mich bis zur nächsten Haltestelle. So geht das jeden Tag zweimal. 

Am liebsten bin ich zu Hause in meiner Wohnung in diesen Tagen. Draußen fühle ich mich nicht mehr sicher. Meinem Freund habe ich gesagt, er solle nicht mehr in den arabischen Dörfern einkaufen gehen.

Auch auf der Arbeit fühle ich mich nicht wirklich sicher. Letztens war ich im Fotolabor alleine mit einer muslimischen Araberin und obwohl mein Verstand mir sagte, dass sie okay ist, fühlte ich mich unwohl alleine mit ihr in einem dunklen abgeschlossenen Raum.
Vor zwei Tagen waren wir in einem Einkaufszentrum und ich saß auf der Bank draußen vor dem Laden, wartete auf meinen Freund. Als sich mir drei arabische Jugendliche näherten, spürte ich sie wieder, diese Anspannung und diese unbestimmte Angst. Ich will nicht diskriminieren, aber was soll ich machen? Man weiß ja aber auch nie. Einer der Terroristen von Jerusalem, der mit einem Firmenwagen in eine Bushaltestelle gefahren war und dann einen Rabbi mit einem Küchenbeil!!!! erstach, hatte einen israelischen Pass und arbeitete seit zehn Jahren bei einer israelischen Telefonfirma.

Alle sind verdächtig. Auch die Araber fühlen sich nicht mehr wohl auf der Strasse. Werden doch auch sie immer wieder mal angegriffen von durchgeknallten Juden wie vor zwei Wochen in Dimona passiert, als ein jüdischer Jugendlicher vier arabische Jugendliche niederstach. Es gab auch diesen Vorfall in der Nähe von IKEA, als ein jüdischer junger Mann einen anderen jüdischen jungen Mann niederstach, weil er dachte, er sei ein Araber. In Netanya ist der Mob einem Araber hinter her gelaufen. Wenn sich nicht ein Passant schützend vor ihn geworfen hätte, hätten die den umgebracht. Leon sah einen Mann, der trug ein T-Shirt mit der Aufschrift: Ich bin kein Araber, ich komme aus dem Jemen".

Ja, das Land ist komplett verrückt geworden. Wie man vor zwei Tagen gut sehen konnte, als der Mob einen eritreischen jungen Mann tot lynchte. Das passierte in Beer Sheva. Ein beduinischer Terrorist hatte iim Busbahnhof einen Soldaten getötet und noch ungefähr zehn weitere Leute verletzt und war dann weggerannt. Ein Sicherheitsbeamte hielt den Eritreaer für dessen Komplizen (warum eigentlich? Diese Frage wird leider nicht gestellt), schoss ihm ins Bein und schrie: "Terrorist", woraufhin der Mob sich dazu berufen sah, den auf dem Boden liegenden Mann in den Bauch und in den Kopf zu treten und Bänke und Stühle auf ihn zu schmeißen. Auch wollte man die Rettungskräfte nicht durchlassen, die den Mann dann ins Krankenhaus brachten, wo er seinen Verletzungen erlag. Dass man wegen dieses Vorfalls irgendwie vergessen hatte, dass ein junger Mann von einem Terroristen tot geschossen worden war, war ein trauriger Nebeneffekt. Dass dann diese Videos ständig gezeigt werden oder im Facebook unkommentiert gepostet werden, hilft nicht der Entspannung. Auch dass Netanyahu dazu aufrief, dass alle, die eine Waffe und Waffenschein haben diese auch umhertragen sollten, lässt mich nicht sicherer fühlen, eher im Gegenteil. Natürlich sehe ich nicht aus wie eine potenzielleTerroristin aus, aber eine fehlgeleitete Kugel aus der Waffe des wild gewordenen Mobs kann auch töten.

In Haifa ist es ruhig. Die Menschen, die hier leben, sind gute Menschen, ziemlich langweilige Menschen, aber gute Menschen. Davon abgesehen, dass sich manchmal die arabische und die russische Mafia gegenseitig tot schiessen, gibt es keine Terroristen hier. Die Menschen leben friedlich miteinander, sie respektieren sich. Haya, die säkuläre Muslimin aus unserem Labor, hat gesagt: „Im Bus sind wir alle gleich. Aber ich vertraue den Menschen in Haifa. Es sind gute Menschen.“ Aber der eine Einzige reicht, ein einziger durchgeknallter Psychopath, dem ein Menschenleben nichts bedeutet, reicht, um alles kaputt zu machen.

Ich vermeide es am Abend Nachrichten zu sehen oder zu lesen. Das gibt mir das Gefühl alles sei normal. So fühle ich mich am nächsten Morgen im Bus sicherer.

Eigentlich hatte ich ja immer gesagt, dass ich das Land verlassen würde, wenn es wieder eine Intifada gäbe. Aber ich bleibe. Erstens habe ich keine Wahl, denn ich habe Verpflichtungen und zweitens ist es wohl immer so. Man kann sein Leben nicht einfach von heute auf morgen komplett ändern nur weil durchgeknallte Psychopathen durch die Gegend laufen.

Man gewöhnt sich halt an alles!!! Und ich habe neue Wörter gelernt: Terrorist, schießen, liquidieren, erstechen.

Die Hamas und auch der IS haben zu Selbstmordattentaten aufgerufen. Vielleicht kaufe ich mir ein Auto?

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