Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters
Eigentlich bin ich ganz zufrieden bin mit mir und meinem
Leben bis auf die gelegentlichen Unzufriedenheiten des Alltags, mit dem Job,
der Figur oder mit den Schuhläden. Nun ja, ein bisschen mehr Geld wäre nicht schlecht und
ein Freund wäre auch nicht schlecht. Aber der ist eben nicht so leicht zu
finden, denn er muss auf jeden Fall perfekt sein. Perfekt für MICH!!! Nicht perfekt für irgendjemand
anderen, sondern so perfekt, was ich für perfekt halte.
Ich weiß, ich weiß, Perfektion gibt es nicht. Hundert Prozent
existiert nicht und eine Beziehung besteht aus Kompromissen. Ich glaube das
nicht. Ich glaube, dass Perfektion Imperfektion beinhaltet, das bedeutet, dass
die eigenen Fehler und die Fehler des Anderen Teil des Ganzen sind und die
Perfektion einfach nur perfektionieren.
Was ist auch schon perfekt, wenn es um Menschen und
Beziehungen geht? Was ist Perfektion? Gibt es da objektive Werte wie in der
Mathematik oder der Physik? Selbst diese beiden genauen und objektiven Wissenschaften
sind nicht perfekt und können nur aus ihrer eigenen Sicht objektiv, genau und
perfekt sein. Denn wenn die Mathematik sagt, eins plus eins sei zwei, dann sagt
die Physik: „Nein, nein, nein, eins plus eins ist nicht zwei sondern eins.“ Wer
hat nun also recht, wenn das Eine auch noch auf dem Anderen aufbaut und obendrein
damit auch noch die Welt erklären will?
Also wenn noch nicht einmal die Mathematiker oder
wenigstens die Physiker wissen, was richtig oder falsch ist, wie soll das
irgendjemand wissen? Alles ist eine Frage des Empfindens, der Interpretation,
der eigenen kleinen Wahrheit. Was dem Einen gefällt, ist für den Anderen ein Ärgernis.
Was für den Einen perfekt ist, ist für den Anderen Ausschuß. Und alles ist
richtig, denn die Wahrheit liegt ganz allein im Auge des Betrachters.
Meiner Meinung nach, wenn Fehler Teil der Perfektion sind, dann ist alles
richtig und Kompromisse sind nicht nötig, denn Perfektion kommt ohne
Kompromisse aus. Mit dem perfekten Partner muss man keine Kompromisse machen,
weil der perfekte Partner kein Kompromiss ist und damit ist die Beziehung kein
Kompromiss. Eine perfekte Beziehung ist nicht anstrengend, sie macht keine
Angst und sie sucht nicht nach Kompromissen.
Ich möchte das mal an einem einfachen Beispiel erklären, an
Schuhen. Wie ich am Anfang sagte, habe ich manchmal Probleme mit den
Schuhläden. Eigentlich ist das mehr als nur ein Problem. Es ist ein großes
Ärgernis für mich. Schuhe kaufen zu müssen, ist für mich eine Strafe, weil die
NIE Schuhe haben, die mir wirklich gefallen. Meistens muss ich im Schuhladen
Kompromisse machen, manchmal kleinere und manchmal richtig große Kompromisse. Diese
richtig großen Kompromisse mache ich aber nur mit den ganz billigen Schuhen,
die die nach ein paar Monaten eh wieder kaputt sind. Manchmal muss ich auch
Kompromisse mit etwas teureren Schuhen machen, weil ich manchmal einfach zu
einer bestimmten Zeit bestimmte Schuhe ganz dringend und sofort brauche und
wirklich keine Zeit mehr habe, noch weiter zu suchen.
Zugegebenermassen hätte ich bei den ganz teuren Schuhen
viel viel weniger Probleme, welche zu finden, aber die sind außerhalb meiner
Liga. Wieviel einfacher wäre doch das Leben, wenn man nicht aufs Geld achten
müsste. Dann könnte man sich Schönheit und Qualität kaufen und müsste sich
nicht immer mit diesen Kompromissen zufrieden geben.
Ich frage mich allerdings, ob ich, wenn ich die
perfektesten Schuhe in einem dieser teuren Läden außerhalb meiner Liga sehen
würde, und ich wüßte, sie wären für immer, sie dann kaufen würde? Bislang hat
sich mir diese Frage noch nicht gestellt, weil ich diese perfekten Schuhe noch
nicht gesehen habe, die, die ich wirklich um jeden Preis kaufen würde, die, die
nicht kaputt gehen, die die für immer wären.
Ich weiß, ich weiß, es gibt keine Steigerung zu perfekt,
kein perfekter oder am perfektesten. Aber warum denn eigentlich nicht? Es gibt
doch auch unterschiedlich große Unendlichkeiten? Und wenn Perfektion
Imperfektion mit einschließt, dann muss es immer perfekter und am perfektesten
geben.
Kurz am Schuhbeispiel erklärt. Ganz ganz selten und
meistens dann, wenn ich gerade nicht danach gesucht habe, habe ich Schuhe
gesehen, die perfekt waren - für mich. Die habe ich dann gekauft, egal, was sie
gekostet haben - also in der Preisklasse, in der ich shoppen gehe.
Einmal gab es da diese wirklich perfekten Schuhe. Die
standen da im Laden rum und ich konnte nicht anders, ich musste sie kaufen. Sie
waren so wunderschön und bequem und sie passten zu mir, die Farbe, die Form,
einfach alles. Fremde Frauen auf der Strasse machten mir Komplimente über diese
Schuhe. Aber sie hatten kleine Makel, die Verschlüsse waren nicht so gut
verarbeitet und das Innenfutter löste sich nach einer Weile und dann drückten
sie ein bisschen am Fuß. Nichts davon störte wirklich, denn diese Schuhe waren
perfekt. Allerdings, wenn die Verschlüsse besser verarbeitet gewesen wären und
sich das Innenfutter nicht gelöst hätte, wären sie perfekter gewesen. Wenn man
sie noch zu Winterschuhen hätte umwandeln können, wären sie am perfektesten
gewesen. Leider, leider, leider sind sie kaputt gegangen und ich musste sie
wegwerfen wie leider drei andere Paare perfekte Schuhe, die irgendwann nicht
mehr zu reparieren waren.
Die perfekten Schuhe für immer habe ich noch nicht
gefunden, vielleicht auch, weil ich noch nicht meine Preisklasse verlassen
habe, auf jeden Fall nach oben noch nicht, nach unten geht ja immer ganz
einfach. Jedes Mal, wenn ich Kompromisse gekauft habe, habe ich mein Geld und
meine Möglichkeiten verschwendet. Geldverschwendung weil diese Kompromissschuhe
meistens nur rumstehen, wenn sie dann noch billig waren, gehen sie auch noch
superschnell kaputt. Und wenn die dann zu Hause rumstehen, werden trotzdem
keine Neuen gesucht, denn dann sind ja erstmal Schuhe da. Das ist Verschwendung
der Möglichkeiten. Wer weiß, was da gerade in den Geschäften rumsteht, während
ich zu Hause die Kompromisse rumstehen habe?
Nun kann man nicht jeden Tag durch alle Schuhläden der
Stadt oder mit Hilfe des Internets der Welt laufen, um die perfektesten Schuhe
der Welt zu finden. Manchmal braucht man ganz dringend und ganz schnell und
ganz unbedingt Schuhe, weil völlig überraschend im Dezember der Winter eingebrochen ist und man nur Sandalen zu Hause hat oder im Juni der Sommer und man nur die
dicken Schuhe rumstehen hat oder weil man einfach zu faul ist, weiter die
perfekten Schuhe zu suchen. Dann muss man Kompromisse machen. Die einzige Lösung ist dann, die Kompromissbehafteten
schnell wieder loszuwerden oder sie zumindest als das zu betrachten, was sie
sind, Schuhe mit Kompromissen, die es nicht wert sind gehegt, gepflegt,
aufbewahrt oder gar repariert zu werden und einfach die Augen weiter offen zu halten
nach dem perfekten Paar Schuhe, was irgendwann wieder plötzlich und
unvermittelt, wenn man überhaupt nicht damit rechnet vor den Augen im Regal
stehen.
Vielleicht wäre es ja auch an der Zeit, anstatt mehrere
Male die Kompromisse zu kaufen, die nur für ein paar Monate sind, die das Geld
und die Zeit verschwenden und in der Summe genauso viel Geld ergeben wie einmal
die perfektesten Schuhe oberhalb der eigenen Liga zu kaufen? Sich einfach mal
zu trauen, einmal Perfektion für immer zu wählen?
„Für immer“ ist ein großes Wort, genauer gesagt sind es
zwei Wörter, das auch wieder Angst macht. Das ist das Problem mit den ganz
teuren Schuhen außerhalb der eigenen Preisklasse. Wenn man sich doch nur dieses
eine Paar Schuhe kaufen kann, dann fällt die Wahl sehr schwer. Was wäre, wenn man
dachte, man hätte die perfektesten Schuhe gefunden und dann später noch
perfektere sieht und man sie sich aber nicht mehr leisten kann, weil man sein
ganzes Geld für das eine Paar ausgegeben hat, von dem man dachte, sie wären die
Perfektesten? Fängt da dann der Kompromiss an? Oder muss man diese Gedanken und
diese Rastlosigkeit dann einfach aufgeben und alle Schuhläden dieser Welt für
immer vermeiden? Oder ist perfekt einfach nur perfekt und noch perfekter gibt
es nicht und deshalb wird man es auch nicht finden, nachdem man schon perfekt
gefunden hat?
Wie kann man bei all diesen Schwierigkeiten und
Unwägbarkeiten des Findens des perfekten Paars Schuhe noch Energie für
Kompromisse aufbringen? Einfach nur, weil man nicht barfuss durch die Gegend
laufen will? Das wäre zu wenig für mich.
So oder so ähnlich ist es auch mit den Männern. Die mit
denen man Kompromisse machen muss, sind nicht perfekt. Mit denen endet es dann auch
schnell wieder, weil sie nerven oder nicht gut passen oder weil ich nerve, weil
sie nicht perfekt sind. Den perfekten Mann, bei dem nichts stört, den habe ich
noch nicht gefunden. Da hatte ich noch nicht soviel Glück wie mit den Schuhen.
Da hatte ich immerhin schon vier Paar Perfekte.
Nein, Kompromisse haben in meinem Leben keinen Platz,
wenn es um wirklich wichtige Dinge wie Schuhe oder dem Mann für den Rest des
Lebens geht!
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